Fast täglich begegneten wir uns. Ich auf dem Fahrrad zur oder von der Arbeit, er mit seinem zweirädrigen Karren mit den Werkzeugen. Säge, Axt, Besen, Schaufel, Kotbrücke, Eimer, Sand, Splitt, Teer, konnte ich im Vorbeifahren erkennen. Die Landstraße zwischen Marxgrün und Naila war der Abschnitt, den er zu pflegen hatte. Bis zum Hammerberg war sie geteert, ab da bis Naila geschottert. An Regentagen und nach Gewittern machte uns beiden der steile Berg zu schaffen. Ich musste schieben, er musste schuften. Den abgeschwemmten Schotter zurückkratzen, Schlaglöcher füllen, den Straßengraben säubern, Äste entfernen. Man stelle sich die Straßen im Landkreis Naila vor siebzig Jahren vor. Geteert waren nur wenige. Die Kanalisation in den Dörfern und kleinen Städten lag noch sehr im Argen.
Der Beruf des Wegmachers wurde schon im Mittelalter geschaffen. Damals gab es fast nur wassergebundene Schotterstraßen. Die Kunst der Römer, Straßen zu pflastern, hatte man wohl vergessen. Den Anwohnern oblag die Pflicht der Straßenreinigung. Da waren die meisten überfordert. Und weil im 16. Jahrhundert immer mehr Straßen und Wege gebaut wurden, haben die Magistrate der Städte Männer angestellt, die diesen Job übernahmen.
Den Namen meines Wegmachers habe ich nie erfahren. Wir kannten ihn alle nur als den Wejichmacher (Frankenwalddialekt). Er trug immer eine alte Jacke mit ausgebeulten Taschen. Sein Hut hatte wohl manchen Sturm, Regen und Sonne erlebt. Sein Gesicht sah ich nie. Er schaute mich auch niemals an. Auf meinen Gruß reagierte er nicht. Immer suchte er gebückt die Straße ab. Da ein Loch flicken, dort den Straßengraben reinigen, und wenn er Pferdeäpfel sah, kehrte er sie sorgfältig in den Eimer. Das war begehrter Dünger, den mancher Gartenbesitzer gern abnahm.
An einem Hang neben der Straße stand die Wejichmacherhüttn. Einmal, als ich auf dem Heimweg war, stand die Tür offen und die Neugier trieb mich hin. „Des derf mer niet“, „su wos macht mer net“. Die eingetrichterten Warnungen der Eltern aus der Kindheit machten sich bemerkbar. Doch die Neugier war stärker. Ich schlich näher. Da saß er, vornübergebeugt auf einem Stuhl – mit gefalteten Händen. Der Hut lag auf dem Boden. Das Haar wirr. Leise und beschämt zog ich mich zurück.
Eines Tages sah ich ihn nicht mehr. Dafür kamen Straßenbaukolonnen. Aber das Bild des betenden Wegmachers – ich seh’ es vor mir, wenn ich dort vorbeikomme. Er, seine Hütte, seine Sorge um seine Straße waren auch ein Teil meines Lebens – sie sind Geschichte.