Von Veröffentlicht am Montag, 20. April 2020

1940 wurde er – 36jährig – Soldat. „Eirucken“ sagte man damals im Frankenwald. Einrücken zur Wehrmacht. Seine Einheit kam in den Norden des besetzten Norwegens auf einen Beobachtungsposten am Meer. Feindberührung hatten sie nicht. Als er einmal Urlaub hatte, brachte er Fotos mit. Auf einem sieht man, wie die Männer Felsbrocken beseitigen. „Daou hammr an Flugplatz gebaut – für den Fieseler Storch“ (Wie mag er das nur geschafft haben, Fotos zu machen und mit heimzubringen?) Der Fieseler Storch war ein kleiner, zweisitziger Flieger, der nur wenig Platz zum Landen und Starten brauchte.

In einer sternenklaren Nacht rief er einmal seine drei Kinder in den Garten. Er zeigte uns die Milchstraße, den Orion, den Polarstern („in Norwegen steht der genau über mir“) den großen und kleinen Wagen und andere Sternbilder. Auch führte er uns gern in die Natur. Er lehrte uns, Bäume zu unterscheiden und kannte viele Namen von Blumen und Vögeln. Und er konnte Pfeifchen schnitzen. Pfeifchen schnitzen? Ja, das geht so: Von einer Rute der Salweide ein Stück abschneiden. Die Rinde anritzen und sanft mit dem Messergriff beklopfen, bis sie sich vom Holz abziehen lässt. Sie bildet die Klanghülle. In diese eine Kerbe schneiden und davor ein Mundstück aus dem Holz schnitzen und einschieben, wie bei einer Blockflöte. Wer das genauer wissen will, kann mich ja mal anrufen.

Sein letzter Urlaub ist zu Ende. Vater, schon marschbereit, ruft uns ins Wohnzimmer, setzt sich ans Harmonium und singt. Er hatte eine schöne Stimme „…und droht die ganze Welt mit Krieg, so bleibt mit ihm uns doch der Sieg.“ Das Lied hat mich Zehnjährigen, dem Krieg und Sieg keine Fremdworte waren, stark bewegt. Der Titel: „Auf, Christen, stimmt ein Loblied an und lasst uns fröhlich sein“.

Erst im Sommer 1946 kehrte Vater aus französischer Kriegsgefangenschaft zurück. Der gelernte Wonger (Wagner) arbeitete zunächst wieder in der Wagnerei und Skifabrikation seines Vaters im Nachbardorf, später wurde er Lagerverwalter in einer Weberei in Naila. Aber was anderes wollte ich ja erzählen: Aus Frankreich brachte er nämlich ein kleines Bällchen aus Zelluloid mit – einen Tischtennisball. Zwei Schläger konnte er in seiner kleinen Werkstatt fertigen, aber die Platte? Der Esstisch! Ausgezogen wurde er zu einer schmalen aber passablen Spielfläche. Ein zusammengerolltes Handtuch bildete das Netz. Es war eng in der Küche, aber hier haben wir Tischtennisspielen gelernt. Das interessierte die Nachbarskinder und die wollten auch mal. Irgendwann musste aber die Mutter ordnend eingreifen. Sie brauchte ja ihre Küche. Das Ende kam dann so: Der Ball ging eines Tages entzwei. Einen zweiten gab es nicht.