Wir respektieren ihn, wir mochten ihn. Und wir trauten uns schon mal an einem sonnigen Tag an die Tafel zu schreiben: Der Himmel ist blau, das Wetter ist schön, wir bitten Herrn Lehrer spazieren zu geh‘n. Er konnte draußen wunderbar erzählen, lehrte uns, die Natur zu verstehen, ermutigte uns, viel zu lesen. Manches erfuhren wir nebenbei: „Anders als bei uns im Dorf wird in der Stadt beim Essen die Kartoffel nicht mit dem Messer geschnitten, sondern mit der Gabel zerdrückt“. Ich habe lang über den Unterschied grübeln müssen und sicher deshalb den Satz auch nicht vergessen.
Die Mädchen amüsierten sich, wenn die Frau Hauptlehrer in der Pause die Brotzeit ihres Mannes in einem Körbchen im Treppenhaus an einer Schnur herunterließ. Die Lehrers wohnten nämlich im Schulhaus.
Er hatte auch Anweisungen von oben weiterzugeben: Einmal diese: „Alle Jungen gehen heute Nachmittag auf ein Kartoffelfeld. Dort erfahrt ihr was ihr tun sollt. Ich zeige euch nachher, wo das Feld liegt“. Wir taten wie uns geheißen. Ein älterer Mann erwartete uns, zeigte uns ein Bild und bemühte sich hochdeutsch zu sprechen: „Das ist ein Kartoffelkäfer. Feindliche Flieger werfen die herunter und die fressen das Kartoffelkraut…dann aber weiter im Dialekt: Noja, nouchert wachsn kanna Ärpfl mehr. Also tut sa eisammeln“. Wir liefen die Reihen ab und guckten. Käfer fanden wir nicht. Aber die Schuhe wurden dreckig und das raue Kartoffelkraut zerkratzte unsere nackten Beine. Wir trugen im Sommer alle kurze Hosen. Wie oft wir Kartoffelfelder durchsuchen mussten, weiß ich nicht mehr. Nur, dass wir keine Käfer fanden. Als Regenwetter kam ließen uns unsere Mütter nicht mehr raus. Das war im Sommer 1944.
Wenn morgens die Schulglocke läutete, nahm der Herr Hauptlehrer seine Geige aus Kasten. Er zupfte die Saiten – den Bogen nahm er nie – und begann mit uns zu singen. So lernten wir manches Volkslied. Aber auch andere, „zeitgemäße“ Lieder stimmte er an: Eines fällt mir ein: „Auf, hebt unsre Fahnen in den frischen Morgenwind! Lasst sie sehn und mahnen, die die müßig sind“ und dann weiter: „Wo Mauern fallen, bau´n sie andre vor uns auf, doch sie weichen alle unserm Siegeslauf“.
Ach ja. Solche Lieder wurden uns beim Jungvolk, die Jüngsten der HJ, eingetrichtert. Es war Pflicht, die Gruppenstunden zu besuchen. Als ich einmal krank war und meine Mutter mich zurückhielt, kam der Gruppenführer persönlich. Stramm baute er sich auf: Frau Sommermann, warum kommt der Hilmar nicht zum Dienst? Er hätte sehen können, dass ich fiebernd auf dem Kanapee lag.