Von Veröffentlicht am Donnerstag, 21. Januar 2021

Der Webstuhl

Einer meiner beiden Großväter war Handweber. In Christusgrün. Sein Webstuhl stand in der Küche. Dort tummelten sich auch fünf Buben und ein Mädchen.

Das Wejiberheisla

Am Wejiberheisla war auch der Stall angebaut. Ein Schwein und eine oder zwei Ziegen lebten dort. Auch Stallhasen gab es. Und Hühner. Wenn es dämmerte stiegen die von selbst die Hühnerleiter am Haus hoch und schlüpften durch ein Loch in den Stall. Auf einer Stange sitzend verbrachten sie dort die Nacht. Beim Sonnenaufgang waren sie schon wieder draußen. Eine Katze gab es auch. „Deji sitzt den ganzen Touch beim Vadder, so die Großmutter.

Die Vettern und Basen

Das Mädchen war unsere Mutter. Während der Kriegsjahre besuchte sie sonntags oft ihre Eltern. Großvater war in Rente. Den Webstuhl gab es nicht mehr. Die Söhne waren verheiratet und weggezogen. Einer aber blieb im Haus. Mit Frau und fünf Kindern. Schon deswegen gingen wir gerne mit der Mutter mit, konnten wir doch mit den Vettern und Basen spielen.

Das Tropfheisla

Im Frankenwald gab es viele Handweber. Selbstversorger die meisten. Am Haus eine kleine Wiese, ein Gärtchen für Gemüse und Beeren, ein oder zwei Obstbäume. Großvater hatte sogar einen kleinen Acker. Da hat er Ärpfel (Kartoffeln) angebaut. Freilich, die meisten Handweber wohnten und webten in einem Tropfheisla. Tropfheisla? Ja so nannte man die Häuser, wo nur der schmale Bereich zwischen Hauswand und Dachkante gärtnerisch genutzt werden konnte oder durfte.

Der Wejibersteig

Die fertig gewebten Stoffballen trugen die Handweber nach Hof. Zu Fuß. Auf dem Wejibersteig. Mutter erinnerte sich, dass ihr Vater an eisigen Wintertagen den fast 20 Kilometer langen Weg schon mal mit Zudelsocken gegangen sei. Der Webersteig ist heute ein Wanderweg.

Schweres Handwerk

Die Stoffe wurden im Sammellager ausgerollt und vom Verleger geprüft. Der übersah keinen Webfehler. Jeder Fehler aber bedeutete weniger Geld. Mutter erzählte, dass ihr Vater einmal nur mit einem Salzhering heimgekommen sei. „Obber mir hamm fest an Gott geglabbt. Und dass der alles recht macht“.

Gottvertrauen

Die Großeltern waren fromme Leute und ihre sechs Kinder waren es auch. Ich erinnere mich: Wenn die Großfamilie sich an Festtagen im Elternhaus traf, wurde viel gesungen. Volkslieder, christliche Lieder, Mutter erzählte, dass die Bibel das Lesebuch in der Schule gewesen sei. Und vell Lejider hammer auswendig glernt“. Zur Schule mussten sie nach Bobengrün. Auf einem Fußweg über einen Hügel und durch den Wald. Auch samstags. Und am Sonntag zum Gottesdienst noch weiter nach Steben. „Meina Brejider sen alla wos worn!“ Mutter war das wichtig. Sie selbst war stolz auf ihre Stellung in einer Bad Stebener Pension. „Dou hou ich vell glernt“.

Der Abschied

Großvater starb mit 82. An einem heißen Julitag im Jahr 1945 haben wir ihn auf seinem letzten Weg von Gressgreji aufStejim zum Friedhof begleitet. Zu Fuß. Zwei Pferde zogen den Leichenwagen.

Ach ja. Als der Trauerzug sich in Bewegung setzte, sah eine seiner Enkelinnen wie seine Katze weglief. Auf den nahen Wald zu. Sie blieb verschwunden.